Victoria Bucătaru: Moldau: Aufstand gegen die Oligarchen. Die Presse.com. 21.09.2015.
22.09.2015 ,
 

Victoria Bucătaru: Moldau: Aufstand gegen die Oligarchen. Die Presse.com. 21.09.2015.

Wegen eines Bankenskandals haben wütende Bürger ein Protestcamp in der Hauptstadt der Ex-Sowjetrepublik errichtet. Erinnerungen an den Kiewer Maidan werden wach.

Der erste Pfeil landet auf der Nase des Oligarchen, der zweite am Kinn und der dritte auf der Stirn. Es sind Dartpfeile, die ein Bub auf das Foto von Ilan Schor wirft, einem 28-jährigen Unternehmer und Bürgermeister der Stadt Orhei, der im Zentrum eines milliardenschweren Betrugsskandals in der Republik Moldau steht. Daneben hängen weitere Konterfeis bekannter Politiker und Oligarchen. Noch zielen die Moldauer im Zeltlager vor dem Regierungsgebäude mit Spielzeugwaffen auf ihre politische Klasse, die sie als Banditen und Räuber beschimpfen. Aus Protest gegen die Regierung harren seit zwei Wochen Hunderte in einer Zeltstadt im Zentrum Chişinaus aus.

Es ist das erste Mal, dass die frühere Sowjetrepublik an der Ostgrenze Rumäniens ein derartiges Protestcamp sieht. Die Zeltstadt mit ihren etwa 300 Zelten erinnert an den Kiewer Maidan, wenn auch im Kleinformat: In einem Erste-Hilfe-Zelt überprüft ein Arzt den Blutdruck einer Demonstrantin, in einer improvisierten Kantine gibt es Tee und Eierspeise, man übernachtet in Zweier-Iglus auf Isomatten. Nach einer Großdemonstration mit 100.000 Teilnehmern haben die Aktivisten hier, vor der Nase der Regierung, ihr Lager errichtet. Eine frische Abendbrise lässt die Nationalflaggen und EU-Fahnen im Wind aufflattern. Studenten sitzen im Kreis und singen patriotische Lieder. Die jungen Polizisten, rundherum postiert, halten sich im Hintergrund.

 
„Hier herrscht Disziplin“

Nicolae Cecati ist einer der Demonstranten. Der Veteran, der Moldau im kurzen militärischen Konflikt mit dem separatistischen Landesteil Transnistrien Anfang der 1990er-Jahre verteidigte, sorgt mit 50 anderen Reservisten für Ordnung. Es herrsche eine „eiserne Disziplin“, erklärt der 55-Jährige, der im Gesicht einen Schnurrbart trägt und am bulligen Körper seine alte Uniform. Trunkenbolde oder Ruhestörer würden sofort rausgeworfen. Er ist wegen seiner Kinder hier. „Für alle müssen die gleichen Gesetze gelten“, sagt er. „Die Regierung hat uns belogen.“ Cecati will erst weichen, wenn die Regierung die zentrale Forderung des Protestcamps erfüllt: den Rücktritt.

Die Republik Moldau galt noch vor ein paar Jahren als Musterland der EU-Ostpartnerschaft. Vor sechs Jahren übernahm eine prowestliche Regierung das Land von der Kommunistischen Partei. „Wir glaubten an die Möglichkeit, die Republik Moldau zu ändern und sie zu europäisieren“, fasst Victoria Bucataru, Analystin beim Thinktank APE, die damalige Euphorie zusammen. Die Regierung versprach EU-Annäherung und Wohlstand. Das EU-Assoziierungsabkommen ist unterschrieben, im Vorjahr erhielten die 3,2 Millionen Bürger die visafreie Einreise in die EU, doch die Republik Moldau ist arm und korrupt geblieben. Der Reformeifer ging im Koalitionshickhack und häufigen Regierungsumbildungen verloren; viele Veränderungen kratzten nur an der Oberfläche, erklärt Bucataru. „Die wahren Probleme in unseren Institutionen wurden nicht angegangen.“ Noch immer geben mächtige Oligarchen den Ton an; viele Posten werden an politisch Genehme vergeben. Die Justiz ist nicht unabhängig.

Für Ärger sorgt aktuell ein Bankenskandal, der ein riesiges Loch in die staatlichen Reserven gerissen hat. Von drei moldauischen Banken wurden 2014 nach Besitzerwechsel Kredite in der Höhe von fast einer Milliarde Euro an ein undurchsichtiges Firmennetzwerk vergeben – dubiose Transaktionen, die „keinen wirtschaftlichen Sinn ergeben“, wie internationale Finanzprüfer der Firma Kroll im Bericht für die Nationalbank festhalten. Im Kroll-Bericht wird Unternehmer Ilan Schor als Verbindungsfigur und „einer von mehreren, wenn nicht gar der einzige Empfänger“ des Geldes identifiziert. Die Banken stehen nun unter staatlicher Aufsicht. Wo das Geld ist, weiß niemand. Ermittlungen moldauischer Behörden werden Monate dauern. Am Montag gab es erste Rücktritte. Nationalbankgouverneur Dorin Dragutanu und sein erster Stellvertreter Marin Molosag gaben ihre Ämter auf. Doch die Bürger haben kein Vertrauen.

Selbst Bucataru hält Neuwahlen nicht für sinnvoll: Sie könnten das Land abermals in eine Spirale der Instabilität ziehen. Dringende westliche Finanzhilfen sind derzeit gestoppt. Für wichtiger hält Bucataru gezielte Neubesetzungen sowie die Entflechtung von Politik und Business: „Wir müssen unsere zentralen Institutionen entpolitisieren“, sagt sie. „Damit glaubwürdige, nicht korrumpierbare Leute endlich ihre Arbeit tun können.“

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